Eine Reise durch den Traum: Interview mit Eviga (Dornenreich)

Eine Reise durch den Traum: Interview mit Eviga (Dornenreich)
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Denis Koeln // Mesmika

Dornenreich sind seit langem ein fester Bestandteil der dunklen Musik. Dieses Jahr feiert die Band das 20-jährige Bestehen des Albums "Bitter ist dem Tod zu dienen" und erfreut ihre Fans mit neuen Konzerten. Mesmikamusic hatte die Ehre, dem Bandkopf Eviga einige Fragen zu stellen.

- Hallo Eviga! Euer neues Album wurde jetzt auf Sommer 2020 verschoben. Kommt da was ganz spezielles auf uns zu oder was sind die Gründe dafür? Kannst du uns schon etwas über das Album verraten?

Eviga: „Wie es schon immer in unserer Geschichte gewesen ist, so werden wir uns auch im Rahmen des kommenden Albums in vielerlei Hinsicht neu erfinden, ohne unser Herz, unsere Wurzeln, unsere Seele zu verlieren. Das Album wird zehn Stücke enthalten, die sich in Länge, Instrumentierung und Grundstimmung deutlich voneinander unterscheiden. Das Albumganze wird erneut eine Geschichte erzählen, deren Teile allerdings auch wieder für sich werden stehen können. Die größte Neuerung wird gewiss das rhythmische Fundament sein, für das ich in diesem Fall selbst verantwortlich zeichne. Ich arbeite dabei mit vielen verschiedenen perkussiven Klangfarben, die jedoch mitunter durchaus vertraute und rockige rhythmische Muster entstehen lassen. Der Klang des Albums wird am Ende so vertraut wie fremd bzw. neuartig anmuten. Wir nehmen uns die Zeit, die es braucht, um etwas Substanzielles durch uns fließen zu lassen – und im Sommer 2020 wird die Zeit aller Voraussicht nach reif sein, die vielen Erfahrungen der letzten Jahre, die in diesem Album künstlerische Form annehmen, loszulassen…“

- "Bitter ist's dem Tod zu dienen" wird dieses Jahr 20. Plant ihr, das in irgendeiner Form zu feiern?

Eviga: "Ehrlich gesagt war es mir bis eben gar nicht bewusst, dass 'Bitter ist's..." dieses Jahr tatsächlich seinen 20. Geburtstag feiert. Da wir in der laufenden Tour mit unserem neuen Session-Mitglied Eklatanz (Heretoir; Bass, Gesang) jedoch 'Leben lechzend' Herzgeflüster' recht nah am Original live spielen und es sich äußerst gut anfühlt, in dieser Besetzung auf der Bühne zu stehen, denke ich, dass wir uns demnächst auch noch des einen oder anderen weiteren Stückes von 'Bitter ist's...' annehmen könnten, um es live zu zelebrieren und dadurch auch zu würdigen...".

- Als ihr damals "Bitter ist's dem Tod zu dienen" geschrieben und aufgenommen habt, wart ihr gerade 18 Jahre jung. Wie stehst du heute zu dem Album? Wo kannst du das Album heute in eurer Diskographie einordnen?

Eviga: "Stilistisch repräsentiert dieses Album - mit dem Abstand vieler Jahre betrachtet - für mich zunächst den aufrichtig-stürmenden Ausdruck jugendlicher Sehnsucht und weiters zeugt es von einem großen stilistischen Suchen und zugleich auch vom Mut, dieser Suche konsequent und ohne Scheu nachzugehen. In diesem Zusammenhang bedeutet es mir persönlich viel, dass wir uns schon in sehr jungen Jahren auch klar dazu bekannt haben, eben auch die weicheren, fragileren, hoch emotionalen Anteile von Musik zuzulassen - trotz der erheblichen damit insbesondere in der Black-Metal-Szene einhergehenden Fallhöhe. Die so mögliche Universalität emotionalen Ausdrucks macht in meiner Wahrnehmung die Faszination bzw. das bis heute vitale Herz des Albums aus. Und so kann ich mich selbst heute - und damit gut 20 Jahre später - noch gut in vielen musikalischen wie textlichen Passagen wiederfinden, weswegen wir auch nach wie vor Ausschnitte des Albums live präsentieren."

- Bevorzugst Du es, im Studio zu arbeiten oder stehst Du lieber live auf der Bühne?

Eviga: "Letztlich bin ich der Auffassung, dass man diese beiden Sphären nicht vergleichen kann. Auf der einen Seite gibt es für mich nämlich kaum etwas so Beglückendes wie das Entstehen eines neuen Stückes. Gerade das 'Zu-voller-Blüte-Kommen' innerhalb der Aufnahme- bzw. Produktionsphase eines Albums ist dabei immer wieder neu faszinierend für mich. Auf der anderen Seite ist die magische, mal erhebende, mal rauschhafte Verbindung, die zwischen Musik, Raum, Musikern und Publikum im Rahmen einer Live-Darbietung entstehen kann eine mir unsagbar kostbare Erfahrung, die ich nicht missen möchte und die - in einem gemeinsamen Zelebrieren der Schönheit trotz und angesichts weltlichen Vergehens - eine einzigartige Intensität und nährende Melancholie entfalten kann. "

- Für das Abschlusskonzert der Mystic Places Tour in der Heilbronner Nikolaikirche war ein Mitschnitt geplant, was ist daraus geworden?

Eviga: "Ja, es existiert tatsächlich ein audiovisueller Mitschnitt einiger Stücke des Programms, das wir in der Heilbronner Nikolaikirche live gespielt haben. Allerdings hatten wir bis jetzt nicht die nötige Zeit, uns des Materials anzunehmen. Einräumen muss ich hier aber leider auch, dass wir mit einigen überhitzten Kameras und einem ausgefallenen Raummikrofon zu kämpfen hatten, weswegen ich fürchte, dass wir schlussendlich nur das eine oder andere Stück werden verwenden bzw. werden zugänglich machen können. Die Zeit wird zeigen, was davon wirklich sinnvoll nachbearbeitbar sein wird."

- „Ich bin ein Stern“ ist eine Vertonung eines Gedichtes von Hermann Hesse. Wie bist Du damals auf die Idee gekommen, so ein Lied zu schreiben und planst Du irgendwann noch mal etwas ähnliches, das in diese Richtung geht?

Eviga: "Tatsächlich war die Musik dazu im Rahmen der 'Durch den Traum'-Aufnahmen - ganz unabhängig von dem Gedicht - entstanden. Als dann die Anfrage kam, ob wir nicht ein Stück zu einer Hermann Hesse-Liedersammlung beitragen wollten, suchte ich mir das besagte Gedicht aus und kam dann auf die Idee, mir die Skizze zu dem heute unter dem Titel 'Ich bin ein Stern' bekannten Dornenreich-Stück anzuhören. Zu diesem Stück gab es zur damaligen Zeit nämlich noch keinen Text aus meiner Feder. Wie umfassend die Musik mit Hesses Worten harmonierten, war dann für mich ein wirklich unvergessliches Erlebnis... und alles fügte sich in der Folge recht schnell zum heute bekannten Ergebnis".

- Wer sind deine Lieblings-Dichter oder -Schriftsteller? Haben sie dich als Textschreiber in irgendeiner Form beeinflusst?

Eviga: "In den ganz frühen Jahren Dornenreichs war ich im Besonderen angetan von deutschen Romantikern wie Novalis, Tieck, Hoffmann oder Fouque, von Expressionisten wie Trakl, Heym, Kafka, Benn oder Lasker-Schüler oder auch von der klaren poetischen Sprache eines Hermann Hesse oder auch eines J. R. R. Tolkien oder eines Algernon Blackwood bis hin zu gar fiebrig-intensiven Prosa einerAnne Rice. Über die Jahre gewannen für mich schließlich neben philosophischen Ausflügen Richtung Jaspers, Kierkegaard oder Schelling jedoch insbesondere spirituelle Werke von O'Donohue, Krishnamurti, Gibran und Osho an Bedeutung wie auch zivilisationskritische Texte von Derrick Jensen, Harari und anderen."

- Wie wichtig ist es dir, ob eure Hörer deine Texte verstehen?

Eviga: "Mir persönlich ist es wichtig, dass ich mich selbst möglichst vollständig und echt ausdrücke, was mir im Feld von Sprach freilich am ehesten in meiner Muttersprache möglich scheint. Der Gebrauch dieser mir so vertrauten Sprache erhöht auch meinen Identifikationsgrad während der vokalen Darbietung, was den Gesamtausdruck stärkt. Und eben dieser emotionale Gesamtausdruck Dornenreichs bzw. auch meiner Stimme im Einzelnen ist es, was zunächst und am Ende begeistert und auch eine Form des Verstehens ist, meine ich. Tatsache ist allerdings auch, dass ich viel Wert auf Texte lege und ich schätze es selbst bei Künstlern sehr, wenn die Texte für sich und im Kontext inspirieren und – sagen wir – gehaltvoll im weitesten Sinne sind, weswegen wir stets versuchen, englische Übersetzungen über unsere Website anzubieten, die den Kern der Originaltexte möglichst genau in sich tragen. In der Vergangenheit wurden zudem zu einigen unserer Alben zusätzlich französische Übersetzungen erstellt (zu finden via dornenreich.com).“

- Dornenreich sind schon fast 25 Jahre dabei, eine lange Zeit. Nenn bitte 3 Höhepunkte und 3 Tiefpunkte deiner Karriere.

Eviga: „Wenn ich an dieser Stelle drei der vielen Höhepunkte der vergangenen Jahre nennen soll, dann war ein Höhepunkt gewiss die immense Erleichterung nach der Abgabe des fertigen Mixes bzw. Masters von ‚Her von welken Nächten‘, ein weiterer Höhepunkt war die Veröffentlichung des Albums ‚Durch den Traum‘, die mir zeigte, dass meine künstlerische Leidenschaft stark genug ist, um auch alleine ein Album entstehen zu lassen, da ich zum damaligen Zeitpunkt das einzige verbliebene Mitglied Dornenreichs war. Und ein dritter – mit dem zweiten zusammenhängender – Höhepunkt war ohne jeden Zweifel das wunderbare Gefühl, wieder eine vollständige Band zu sein nach der Aufnahme Inves als vollwertiges Mitglied 2006 und nach dem Wiedereintritt Gilvans im selben Jahr. Ein prägender – und letztlich wichtiger, charakterbildender Tiefpunkt – war der Abbruch der ursprünglichen Hexenwind-Aufnahmen 2001, nach dem ich in vielerlei Hinsicht als Mensch und Künstler reifte. Ein anderer Tiefpunkt war sicherlich der temporäre Rückzug Gilvans – auch im Jahr 2001. Und natürlich markierte Valnes‘ Ausstieg im Jahre 2006 zunächst einen Tiefpunkt und schlussendlich den wohl bedeutsamsten Wendepunkt unserer bisherigen Geschichte.“

- Was ist für dich "Glück" und was ist das Wichtigste für dich im Leben, neben der Musik?

Eviga: „Im Bewusstsein des Vergehens aller weltlichen Formen möglichst wahrhaftig und wertschätzend mit dem eigenen Leben und dem Leben anderer Wesen umzugehen und das Leben so wirklich bewusst zu feiern; zu begreifen, was es bedeutet, am Leben zu sein und: zu lieben - all das heißt für mich, glücklich zu sein. Bewusst und ganz Mensch zu sein und mich dabei letztlich als Teil des Lebens- bzw. Naturganzen zu begreifen, das ist mir das Wichtigste – und darin hat auch die sphärenverbindende Qualität vonMusik ihren so bedeutsamen Platz, die ja in gewissem Sinne zugleich die sichtbare wie auch die unsichtbare Welt repräsentiert. “

Denis Koeln

Bilder von Dornenreich